Eine Übersicht über den Ablauf der Clomazone-Vergiftung in der ehemaligen Gemeinde Pulow (jetzt zum Gemeindegebiet der Stadt Lassan gehörig)

Der Brasan-Skandal 2001
Chronologie der Ereignisse in Klein Jasedow, Gemeinde Pulow

Klein Jasedow ist eines von vier Dörfern, aus denen die Gemeinde Pulow besteht. Die anderen drei Dörfer heißen Papendorf, Pulow und Waschow.) Die Gemeinde liegt im Landkreis Ostvorpommern zwischen den Kleinstädten Anklam und Wolgast, direkt am Peenestrom gegenüber der Insel Usedom.

26./27. 8. – Auf Feldern in der Gemarkung Waschow (Gemeinde Pulow/OVP) werden durch Angestellte des Agrarindustrieunternehmens Peeneland Agrar GmbH, Hohendorf, mit den Geschäftsführern Bernard Sebastian Kowolik und Olaf Czeskleba, Herbizide gespritzt. Der Agrarbetrieb ist ein LPG-Nachfolgebetrieb und bewirtschaftet insgesamt 5.000 Hektar. 1.200 Hektar davon liegen im Gebiet der Gemeinde Pulow. Damit bewirtschaftet die Peeneland GmbH praktisch das gesamte Ackerland der Gemeinde Pulow. Alle Flächen sind zusammenängende, ungegliederte Schläge von mehreren hundert Hektar Ausdehnung. (Diese Information ist insofern nicht unerheblich, als sie die Größenverhälnisse deutlich macht: Es könnte sein, dass die Auswirkungen von Clomazone mit der Größer der geschlossen behandelten Fläche unkontrollierbar werden. In den neuen Bundesländern gibt es viele Regionen mit ähnlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft. Die 2001 beobachteten Schäden in Mecklenburg-Vorpommern wurden ausnahmslos im Zusammenhang mit Großflächen festgestellt.)

Mehrere TeilnehmerInnen eines Sommercamps in Klein Jasedow bekommen über Nacht Kopfschmerzen und Durchfall.

31.8./1.9. – Während des gesamten Wochenendes ist das Spritzfahrzeug unterwegs und spritzt auf mehreren hundert Hektar flächendeckend rings um Klein Jasedow, Pulow und Papendorf. Danach liegen mehrere Einwohnerinnen und Einwohner mit Übelkeit und Erbrechen, Glieder- und Nierenschmerzen zu Bett.

1.9./2.9. – Einwohnerinnen und Einwohner der Dörfer Klein Jasedow und Pulow beschweren sich über den Gestank, der aufgrund der Spritzmittel über den Dörfern hängt.

2.9.–7.9. – Mehrere Einwohnerinnen in Klein Jasedow klagen während der ganzen Woche über unerklärliche heftige Kopfschmerzen.

Ein kleines Mädchen in Klein Jasedow wacht morgens immer mit verschwollenem Gesicht auf, bekommt juckenden Ausschlag im Gesicht und an den Beinen.

Ein Junge in Pulow hat große nässende Hautausschläge in Ellbeugen und Kniekehlen und muss ärztlich behandelt werden.

Zwei Mädchen in Pulow bekommen plötzliches Fieber, ohne sich erkältet zu haben.

Ein kleiner Junge in Pulow klagt in der fraglichen Zeit jeden Abend über heftige Bauchschmerzen.

Eine ältere Einwohenerin in Klein Jasedow hat Fieber und Unwohlsein und liegt zwei Tage im Bett.

Eine Einwohnerin in Pulow leidet unter unerklärlichen Gelenkschmerzen und Schlaflosigkeit.

Noch bringt niemand diese Erkrankungen in Zusammenhang mit dem Spritzen des Pflanzengiftes.

10.9. – Die Kräutergarten Pommerland eG, ein anerkannter Ökobetrieb in Pulow, beschließt, am folgenden Tag ihr Melissenfeld in Klein Jasedow abzuernten und macht eine Feldbegehung. Dabei stellen die Mitarbeiterinnen fest, dass die Zitronenmelisse nicht grün, sondern gelblich und weiß verfärbt ist.

11.9. – Die Kräutergarten Pommerland eG entscheidet, das Melissenfeld nicht abzuernten, da die Pflanzen offenbar vergiftet sind, und informiert das Landwirtschaftsamt, den Landwirtschaftsminister und die Presse.

15.9. – Nordkurier und Ostseezeitung berichten über die Kontaminierung.

14.9. – Herr Stiemer vom Pflanzenschutzamt des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Außenstelle Greifswald, meldet sich bei der Kräutergarten Pommerland eG und beraumt einen Lokaltermin an. Dazu werden die Peeneland Agrar GmbH, Hohendorf, mit ihren Geschäftsführern Bernard Kowolik und Olaf Czeskleba, die Chemiefirma Syngenta, Maintal bei Frankfurt, und die Presse eingeladen.

17.9. – Einwohnerinnen aus Klein Jasedow informieren das Gesundheitsamt Anklam.

18.9. – Der Lokaltermin findet in Klein Jasedow am Melissenfeld statt. Alle o.g. Eingeladenen sind erschienen.

Vertreter einer Bürgerinitiative aus Hohenbüssow berichten, dass in ihrer Region ebenfalls Pflanzen weiß verfärbt sind.

Olaf Czeskleba und Norbert Krüger von der Peeneland Agrar GmbH nennen das Mittel, das sie gespritzt haben: Brasan. Sie erklären sich für den Schaden auf dem Melissenfeld verantwortlich. Sie sagen der Kräutergarten Pommerland eG Schadensersatz zu. Herr Dr. Lübner von der Fa. Syngenta gibt Erklärungen zu dem eingesetzten Pflanzengift Brasan.

Herr Stiemer vergewissert sich über die Schäden auf dem Melissenfeld und in den privaten Gärten in Klein Jasedow und Pulow. Er warnt vor dem Verzehr von Gartengemüse und Obst und rät sämtlichen Einwohnern, die wirtschaftlichen und ideellen Schäden zu beziffern.

19.9. – Die Kräutergarten Pommerland eG recherchiert über das Internet Details über die Wirkungsweise von Brasan: Brasan enthält die Wirkstoffe Clomazone und Dimethachlor. Dabei bewirkt Clomazone Chlorophyllverlust an den Pflanzen, während Dimethachlor direkt die Wurzel angereift. Brasan wird als Spritzmittel beim Verzicht auf Pflügen empfohlen: „Säen – Spritzen – Fertig!“ lautet der Slogan der Chemiefirma Syngenta. Zur weiteren Wirkung wird Folgendes gesagt: „Das Mittel ist giftig für Fische und Fischnährtiere – Reizt die Augen und die Haut – Das Mittel ist giftig für Algen – Irreversibler Schaden möglich – Zwischen der behandelten Fläche und einem Oberflächengewässer sowie zu Ackerflächen muss ein Mindestabstand von 5 m eingehalten werden.“

Ostseezeitung und Nordkurier berichten über den Lokaltermin.

Antenne Mecklenburg Vorpommern sendet einen Bericht.

Die Ostseewelle warnt vor dem Genuss von Obst aus den Gärten.

Der Fernsehsender NDR 3 sendet im abendlichen Regionalfernsehen einen Bericht.

20.9. – Es erscheint ein Bericht in der BILD-Zeitung, Region MV.

Ein Vertreter des Landwirtschaftsministeriums Schwerin, Herr Tielinski, kommt nach Klein Jasedow, um sich vor Ort über den Schaden zu informieren. Gleichzeitig kommt Herr Stiemer und mit ihm weitere Vertreter des Pflanzenschutzamtes, Rostock. Im Anschluss werden Boden- und Pflanzenproben vom Melissenfeld sowie – zusammen mit Herrn Krüger vom Agrarbetrieb – auf den umliegenden Feldern der Peeneland Agrar GmbH genommen.

Der BUND fordert Landwirtschaftsminister Backhaus auf, sich für den Schutz der Produktionsweisen des ökologischen Landbaus einzusetzen.

Die Kräutergarten Pommerland eG informiert die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Frau Renate Künast in Berlin, über die Kontaminierung und die Schäden.

In der Gemeinde Pulow formiert sich die „Bürgerinitiative Landwende“ und nimmt Kontakt zu Bio-Betrieben in der Region auf.

Es stellt sich heraus, dass auch andere Biobetriebe in Mecklenburg-Vorpommern von ähnlichen Schäden betroffen sind, z.B. in Steinfurth, Süderholz, Rügen u.a.m.

Der Kapellsche Hof in Steinfurth wird von Beamten des Pflanzenschutzamtes Greifswald und des Veterinäramtes, Anklam, aufgesucht; die Vertreter beider Ämter weigern sich, Bodenproben zu nehmen.

Vertreterinnen des Gesundheitsamtes Ostvorpommern, u.a. Amtsärztin Frau Dr. Richter, kommen zu den betroffenen Einwohnerinnen nach Klein Jasedow und erklären, dass ihnen die Hände gebunden sind. Sie verweisen ans Gesundheitsministerium.

Die Bürgerinitiative Landwende eröffnet eine Internetseite, um die Öffentlichkeit laufend mit den neuesten Informationen zu versorgen.

21.9. – Auf Einladung der Bürgerinitiative Landwende treffen nachmittags VertreterInnen der geschädigten Biobetriebe auf Vertreter des Chemiekonzerns Syngenta: Herr Hefner, Herr Dr. Lübner, Herr Pape und Frau Karl. Herr Hefner ist nicht in der Lage, konkret mögliche Auswirkungen von verfrachtetem Brasan auf Mensch und Tier zu erläutern, da von Fa. Syngenta dazu offenbar keine Untersuchungen gemacht wurden.

Am Abend gibt es eine Versammlung im Gutshaus Papendorf, Gemeinde Pulow. EinwohnerInnen der Dörfer Klein Jasedow, Pulow und Papendorf berichten von Pflanzenverfärbungen in ihren Gärten, davon, dass ihnen Hühner und Gänse plötzlich verendet seien, dass Junghühner Anfang September das Legen eingestellt hätten und insgesamt weniger als Eier gelegt worden seien. Viele Kinder seien in dieser Zeit plötzlich erkrankt und hätten ärztlich behandelt werden müssen (s.o.). Der Bürgermeister informiert die Polizei; die anwesenden Bürger erstatten Anzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung.

Zu Beginn der Versammlung nehmen zwei den meisten offenbar unbekannte Männer teil, die sofort beginnen, die Anwesenden zu provozieren, indem sie die Krankheitssymptome anzweifeln. Einer von ihnen behauptet, sie kämen von weiter her und hätten nichts mit der Landwirtschaft zu tun. Nach weiteren Herabwürdigungen der Anwesenden bittet der Bürgermeister die beiden Unbekannten, die Versammlung zu verlassen. Es stellt sich heraus, dass einige der Anwesenden die beiden sehr wohl erkannt hatten, aber aus Furcht vor einem Konflik nichts gesagt hatten: Es waren die beiden Spritzenfahrer des Agrarunternehmens Peeneland GmbH, die das Pflanzengift Brasan versprüht hatten.

Vertreter der Bürgerinitiative informieren noch in der Nacht die Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Frau Martina Bunge, über die gesundheitlichen Schäden. Diese sagt zu, sich um Aufklärung und Behandlung zu kümmern.

23.9. – Die Bürgerinitiative fragt beim Landwirtschaftsminister an, wieviel Hektar Raps in Mecklenburg-Vorpommern eingesät und wieviele davon mit Brasan oder einem ähnlichen Mittel behandelt wurden. Ferner wird die Frage gestellt, wieviele Hektar abgeernteter Raps in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Totalherbizid „totgespritzt“ wurden. Der Minister wird aufgefordert, jegliches Spritzen in Mecklenburg-Vorpommern zu untersagen, bis geklärt ist, ob eine bisher nicht beobachtete Wechselwirkung von Brasan und einem weiteren Mittel für die Vergiftung der Pflanzen und Menschen verantwortlich ist.

24.9. – In Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht lädt der Bürgermeister der Gemeinde Pulow in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative Landwende den Landwirtschaftsminister und die Gesundheitsministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern und weitere Fachleute sowie betroffene Bio-Bauern und konventionelle Landwirte zu einer Pressekonferenz am 26.9. um 10.30 ins Gutshaus in Papendorf/Gemeinde Pulow ein. Auch die beiden Geschäftsführer der Peeneland Agrar GmbH sind ausdrücklich eingeladen.

26.9. – Vor dem Gutshaus Papendorf demonstriert eine wütende Menge: Die Peeneland Agrar GmbH hat ihren Angestellten freigegeben, um ihrem Unmut über die unerwünschte Publizität Ausdruck zu geben. Als einer der Anführer entpuppt sich der Spritzenfahrer, der die Versammlung am 21.9. über seine Identität getäuscht hatte. Seine Mutter, die derzeitige zweite Bürgermeisterin Renate Bliese, erzwingt sich gewaltsam Zutritt zur Pressekonferenz. Die beiden Geschäftsführer der Peeneland, Bernard Kowolik und Olaf Czeskleba erscheinen nicht zur Konferenz.

Die Pressekonferenz verläuft ansonsten sachlich und ruhig.

27.9. – Von nun an wird die Enwicklung in täglichen Meldungen auf der Internetseite der Bürgerinitiative Landwende dokumentiert.