Wissensexkursion Permakultur, Teil 11

Das zehnte von David Holmgren formulierte Permakulturprinzip erinnert uns daran, dass Vielgestaltigkeit eine erprobte Überlebensstrategie für alle möglichen Populationen und Arten ist.

Ein Ziel in der Permakultur ist die Gestaltung und Bewahrung von Vielfalt in natürlichen wie auch in menschengemachten Systemen.
Natürliche Artenvielfalt ist zum Aufbau von Lebensgemeinschaften, die an ihre Lebensräume angepasst sind, grundlegend nötig. Sie ist damit Voraussetzung für das Entstehen von Ökosystemen. Diese entwickeln sich in ihrer jeweiligen Form aufgrund des Klimas, der Landschaftsform und des anstehenden Grundgesteins. Vielfalt bietet alternative Wege für wesentliche Funktionen des Systems, wenn sich Umweltbedingungen ändern.
Dabei ist für die Stabilität nicht allein eine große Anzahl verschiedener Arten entscheidend – ebenso wichtig sind die Beziehungen der Lebewesen untereinander. Beispielsweise ist ein Zoo ein System mit unglaublich vielen Arten, bei denen jedoch die Beziehungen zueinander in den meisten Fällen fehlen.

Als ökologische Nische wird das Wirkungsfeld einer Art in ihrem Lebensraum bezeichnet. Nicht selten wird der gleiche Ort von ähnlichen Arten mit unterschiedlicher Anpassung genutzt. In der Natur singen beispielsweise verschiedenste Vogel­arten auf Bäumen; ihre Nische finden sie unter anderem durch zeitliche Versetzung. Nicht alle Arten singen gleichzeitig; so können alle besser gehört werden.
In unseren landwirtschaftlichen Systemen lassen sich ebenfalls Nischen finden. Rinder und Schafe beispielsweise fressen Gras, jedoch von unterschiedlicher Länge: Die Rinder bevorzugen lange, die Schafe kurze Halme. Sie könnten also beide dieselbe Fläche beweiden, ohne Futterkonkurrenten zu werden.

Genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren entsteht durch regionale Anpassung oder auch durch Isolation einzelner Gruppen von anderen. Dabei entsteht in der Natur nie eine einheitliche Monokultur der am besten angepassten Spezies. Genveränderungen sorgen von Natur aus für Variabilität, denn Umweltbedingungen bleiben selten lange gleich.

Auch die kulturelle Vielfalt entstand auf Basis dessen, was wir Menschen als regionale oder lokale Lebensgrundlage vorfanden. Sie spiegelt sich wider in unterschiedlichsten Anbaumethoden und angepassten Techniken (in den Alpen braucht man andere als im Küstenland), in Ver- und Entsorgungssystemen, in Arten der Lebensmittelverarbeitung (beispielsweise unterschiedliche Joghurt- oder Sauerteigkulturen) oder in der Architektur (der lokal vorhandene Baustoff bestimmte früher die Bauweise). Dass wir diese heute bewusst erhalten sollten, wird zum Beispiel dann besonders deutlich, wenn angesichts der betonierten Einheitlichkeit von Wohnhäusern oder Supermärkten nicht mehr zu spüren ist, in welcher Landschaft sie stehen.

»Nicht alles auf das gleiche Pferd setzen« ist eine Metapher, die gut zu diesem Prinzip passt. Auch beim finanziellen Einkommen, das zu unserem Lebensunterhalt beiträgt, sind wir – insbesondere in der Landwirtschaft – gut beraten, uns nicht nur von einem Produkt abhängig zu machen. Es ist in den meisten Fällen eine Herausforderung und ein Entwicklungsprozess, eine gute Balance zwischen Vielfalt und Produktivität zu finden.

Quelle
Oya – anders denken. anders leben, Ausgabe 27
http://www.oya-online.de/article/read/1401-nutze_und_schaetze_die_vielfalt.html

Autor
Ulrike Meißner

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Kategorien: Humusrevolution