Die Zusammenfassung einer neuen Meta-Analyse über systemische Pestizide – Neonikotinoide und Fipronil – bestätigen deren signifikante schädliche Wirkung auf eine Vielzahl nützlicher wirbelloser Arten sowie ihre Schlüsselrolle beim Bienensterben. 

In den letzten zwanzig Jahren sind die Bedenken, was die Auswirkungen systemischer Pestizide auf eine Vielzahl sogenannter nützlicher Arten betrifft, deutlich gewachsen. Die Wissenschaft jedoch schien sich bislang nicht einig.

Die »Task Force on Systemic Pesticides« (Arbeitskreis für systemische Pestizide) – eine globale Gemeinschaft unabhängiger Wissenschaftler – hat deshalb eine vollständige Analyse der gesamten zugänglichen Literatur (800 Expertengutachten) in Angriff genommen und dabei klare Hinweise auf schädigende Auswirkungen auf diese Arten gefunden, die ausreichen sollten, um regulatorische Maßnahmen anzustoßen.

Die sogenannte weltweit eingebundene Begutachtung (»Worldwide Integrated Assessment« WIA) wurde im Fachjournal »Environment Science and Pollution Research« veröffentlicht. Sie besagt, dass Neonikotinoide ein ernstzunehmendes Gefahrenrisiko für Honigbienen und andere Bestäuber wie Schmetterlinge sowie für ein breites Spektrum anderer Wirbelloser wie Erdwürmer und auch für Wirbeltiere wie Vögel darstellt.

Neonikotinoide sind ein Nervengift, seine Belastungsauswirkungen reichen von »augenblicklich und tödlich« bis »chronisch«. Selbst Langzeitbelastungen bei niedrigen (nicht-tödlichen) Dosen können sich schädlich auswirken. Chronische Schäden können sein: gestörter Geruchs- oder Gedächtnissinn; reduzierte Fruchtbarkeit; verändertes Fütterungsverhalten und reduzierte Nahrungsaufnahme einschließlich eines reduzierten Sammelverhaltens bei Bienen; verändertes Tunnelbauverhalten bei Erdwürmern; Flugschwierigkeiten und zunehmende Krankheitsanfälligkeit.

Einer der führenden Autoren der WIA, Dr. Jean-Marc Bonmatin vom National Centre for Scientific Research in Frankreich, sagte: »Die Anzeichen sind sehr deutlich. Wir bezeugen eine Gefährdung der Produktivität unserer natürlichen und kulturell genutzten Umwelt, die vergleichbar ist mit jener, wie sie durch Organophosphate oder DDT verursacht wurde. Weit entfernt vom Schutz der Nahrungsproduktion, bedroht der Gebrauch von Neonikotinoiden ebenjene natürlichen Systeme, welche Nahrungsproduktion überhaupt ermöglicht: Er gefährdet die für jedes funtkionierende Ökosystem unabdinglichen Bestäuber, Habitatpioniere und natürliche Schädlingsbekämpfer.«

Die Analyse befand unter anderem, dass zu den am meisten betroffenen Artengruppen die terrestrischen Wirbellosen gehören – Würmer. Diese seien hauptsächlich (»hochrangig«) über Erde und Pflanzen, in geringerem Ausmaß (»niedrigrangig«) über Grundwasser und Ausdunstungen der Pflanzen, sowie ausserdem auch über die Luft (Staub) den Wirkstoffen ausgesetzt. Sowohl einzelne Tiere als auch der Gesamtbestand könnten bereits bei niedrigrangiger und bei akuter (fortwährender) Belastung ungünstig beeinträchtigt werden. Angesichts der Art und Weise, wie Neonikotinoide in der Landwirtschaft eingesetzt werden, seien die terrestrischen Wirbellosen in ihrem Bestand hochgefährdet.

Die am zweitmeisten gefährdete Gruppe sind der Analyse zufolge die Insektenbestäuber. Auch Bienen und Schmetterlinge seien einer hohen Kontaminierung durch Luft und Pflanzen sowie mittelrangiger Belastung über das Wasser ausgesetzt. Sowohl einzelne Tiere als auch der Gesamtbestand können bei niedriger oder akuter Belastung ungünstig beeinträchtigt werden, weshalb sie als hochgefährdet einzustufen sind.

Dann kommen Wasserwirbellose wie Süßwasserschnecken und Wasserflöhe, die bei niedriger und akuter Belastung anfällig sind und die einzeln oder auch im Gesamtbestand bzw. als ganze Art gefährdet scheinen.

Während Wirbeltiere generell weniger anfällig sind, sind Vogelbestände bedroht durch das Fressen von Saaten, die mit systemischen Insektiziden behandelt wurden; ebenso nahm die Anzahl der Reptilien aufgrund des Rückgangs ihrer Beuteinsekten ab. Mikroben wurden nach hochrangiger oder andauernder Belastung als beeinträchtigt befunden. Wasserproben aus aller Welt ergaben regelmäßige Überschreitungen der ökotoxikologischen Grenzwerte.

Zusätzlich zur Vergiftung von sogenannten Nicht-Zielarten durch direkte Einwirkung (z.B. Insekten, die Nektar von betroffenen Pflanzen konsumieren), wurden die chemischen Wirkstoffe auch in unterschiedlichen Konzentrationen ausserhalb der beabsichtigten Gebiete gefunden. Die Wasserlöslichkeit von Neonikotinoiden bedeutet ein Auswaschen und leichtes Abfließen. So wundert es nicht, dass die Kontaminierung viel breiterer als der behandelten Gebiete nachgewiesen wurde. Bis in Auengebiete, marine Mündungs- und Küstensysteme hinein führt dies sowohl zu chronischer als auch zu akuter Belastung von Organismen.

Neonikotinoide avancierten zur weltweit am meisten verbreiteten Gruppe der Insektizide, mit einem Weltmarktanteil bei jetzt etwa 40% und einem Umsatz von über 2,63 Billionen US-Dollar (2011). Sie werden auch im häuslichen Bereich verwendet, um Katzen- und Hundeflöhe, sowie Holztermieten vorzubeugen.

Der Vorsitzender des Arbeitskreises systemische Pestizide, Maarten Bijleveld van Lexmond, sagte: »Die Entdeckungen der WIA sind gravierend und besorgniserregend. Wir können heute deutlich sehen, dass Neonikotinoide und Fipronil ein Risiko für das Funktionieren und Dienen von Ökosystemen darstellt. Das betrifft weit mehr als nur die Belange einer einzelnen Spezies und sollte deshalb wirklich die Aufmerksamkeit von Regierungen und Behörden erregen!«

Es waren bislang die Honigbienen, um die hauptsächlich die Bedenken hinsichtlich den Neonikotinoiden und Fipronil kreisten. Tatsächlich wurden hier auch bereits begrenzte Maßnahmen ergriffen, beispielsweise von der EU-Kommission. Doch die Hersteller dieser Nervengifte haben jegliche Schadensansprüche zurückgewiesen. Indem die WIA die ganze Bandbreite der verfügbaren Literatur sichtete – und nicht nur einen Bericht mit einem anderen verglich –, fand sie heraus, dass die in der landwirtschaftlichen Praxis typischen Konzentrationen von Neonikotinoiden die individuelle Navigation der Bienen sowie ihr Lern- und Nahrungssammelverhalten, ihre Lebensdauer, ihre Widerstandskraft gegenüber Krankheiten sowie ihre Fruchtbarkeit ungünstig beeinträchtigen. Bei Hummeln wurden unwiderlegbare Effekte auf die Kolonien festgestellt, wobei die beeinträchtigten Kolonien ein langsameres Populationswachstum verzeichnen und bedeutend weniger Königinnen hervorbringen.

Die Autoren des WIA legen den Behörden dringend nahe, weitere Vorbeugemaßnahmen zu ergreifen und darüber hinaus die Vorschriften für den Gebrauch von Neonikotinoiden und Fipronil zu verschärfen sowie mit der Planung eines globalen Ausstiegs zu beginnen – oder zumindest Pläne zu einer starken Verringerung des globalen Gebrauchs dieser Stoffe zu formulieren.

Quelle
The Task Force on Systemic Pesticides
http://www.tfsp.info/wp-content/uploads/2014/06/WIA-PR-REL.pdf

Autor
Mirella von Lindenfels