Die Rückverwilderung des Landes, der Meere und des menschlichen Lebens

Die deutsche Regierung hatte sich 2007 mit der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ verpflichtet, bis 2020 mindestens zwei Prozent des Landes für Rückverwilderung freizugeben. Weltweit gibt es zahlreiche Zusammenschlüsse von Menschen, die mehr anstreben. Der britische Zoologe, renommierte Journalist und engagierte Umweltaktivist George Monbiot trägt beeindruckende Beispiele in seinem bereits 2013 im Original veröffentlichten Werk zusammen, das nun unter dem Titel „Verwildert“ in deutscher Übersetzung vorliegt. Für das Buch besuchte er Orte und Menschen unter anderem in den schottischen Highlands, in Wales und den Bergen Sloweniens. Dabei stellt er Modelle des Naturschutzes radikal in Frage, die Natur als Ansammlung von Arten „einwecken“ wollen und die Utopie eines vermeintlich ursprünglichen Zustands verfolgen. Zentral für eine gelingende Rückverwilderung sind für ihn zwei Aspekte. Erstens gehe es darum, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ökologische Prozesse wieder in Gang kommen. Im Vordergrund steht dabei die Verknüpfung des Lebensnetzes, in der große Raubtiere und Pflanzenfresser für die trophische Diversität von besonderer Bedeutung sind (das bedeutet die Anzahl der Gelegenheiten für Tiere, Pflanzen u.a. zu erhöhen, sich gegenseitig zu ernähren). Er führt eine lange Tabelle zu potentiellen Großsäugetieren an, sowie deren Eignung für die Wiedereinführung auf der Britischen Insel – ein Gebiet, das historisch zu den am längsten urbanisierten gehört und laut Monbiot „vielleicht die Nation Europas mit der ausgeprägtesten Zoophobie“ darstellt.

Zweitens spricht er sich für die Rückverwilderung des menschlichen Lebens aus. Dies bedeute nicht Zivilisation aufgeben zu müssen, doch führe ein solcher Prozess zu einer neuerlichen Einbindung des Menschen in die naturgegebene Welt. Der Autor proklamiert einen Umweltschutz, der im Austausch gegen bisherige Freiheiten, neue anbietet – exemplarisch durch persönliche, abenteuerliche Kajaktouren veranschaulicht. Spannend sind auch seine Ausflüge in die Paläoökologie, bei denen er etwa auf zeigt, wie das Verhalten unserer heutigen Pflanzenwelt noch immer an die einstmalige Präsenz von Elefanten angepasst ist. Ausführlich behandelt er die Entstehung der Landwirtschaft, beschreibt den bäuerlichen Drang zur Entwilderung sowie dessen ästhetische Auswirkungen, die auch in geistiger Monokultur münden. Er integriert die Perspektive traditioneller Bauern wie auch Fischer und zeigt auf, welche Konflikte tatsächlich vorliegen: Monbiots Darstellungen zum aktuell immer noch währenden Fiasko des Subventionssystems der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, schildern deutlich den (wirtschaftlichen) Motor der Misere und wie eine Alternative durch eine Umverteilung der Mittel in ökologische Rückverwilderungsprojekte, sowie in Betriebe bis 100 Hektar aussehen könnte. Der Schutz der Meere und Gewässer nimmt in Monbiots Werk gleichfalls viel Raum ein, wobei er spannende Zahlen zusammenträgt, welche das Szenario einer intakten aquatischen Welt inklusive zufriedener Fischer, in realisierbare Nähe rücken lässt. Lebendig geschrieben. Lesenswert!

Quelle
Matthes & Seitz
https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/verwildert.html?lid=3

Kategorien: Bücher